Bundesregierung darf Zukunft nicht aussitzen

Bundesregierung darf Zukunft nicht aussitzen

Die Bäuerinnen und Bauern zeigen mit ihren Protesten ganz klar: Die Bundesregierung muss sofort aktiv werden, um den ökologischen Umbau von Landwirtschaft und Ernährung in die Hand zu nehmen. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit, um mit ihren Investitionsentscheidungen den notwendigen Umbau mit voran bringen zu können.

Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbandes Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): „Wenn die Bundesregierung jetzt ankündigt, bis zum Sommer einen Fahrplan vorzulegen, ist das zu spät. Wenn sie die Zukunft der Landwirtschaft und Ernährung gestalten möchte, wenn sie die demonstrierenden Bauern von der Straße kriegen will, darf sie den Umbau nicht auf die lange Bank schieben. Die Pläne liegen mit dem Koalitionsvertrag, den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft sowie der Borchert-Kommission vor.”

Peter Röhrig, geschäftsführender Vorstand des BÖLW: „Seit November liegt eine Bio-Strategie vor. Jetzt ist es wichtig, dass die gesamte Bundesregierung sich für deren Umsetzung engagiert. Denn weiterhin liegt der Bio-Anteil an der Agrarforschung bei zwei Prozent. Der Bund ist weit davon entfernt, seine Nachfragemacht zu nutzten und sein Essenangebots in Kantinen zu mindestens 50 Prozent auf Bio umzustellen. Auch die Empfehlungen des Bürgerrates Ernährung an den Deutschen Bundestag sprechen sich für mehr Bio in Kitas und Schulen aus sowie für 0% MwSt. auf Bio-Obst und Gemüse. So fordert auch er die Politik zum Handel auf.“

Die Forderungen für den von der Ampel angekündigten Zukunftsplan Landwirtschaft:

  1. Die EU-Pläne zur Deregulierung der Gentechnik müssen gestoppt werden. Sie würden dazu führen, dass Gentechnik unerkannt auf den Tellern landet. Bäuerinnen und Bauern nimmt das wichtige Märkte. Gentechnik führt zu Konflikten auf dem Lande, zwingt Bauern in neue Abhängigkeiten durch Patente und verursacht Kosten für Bauernhöfe und Verbraucher.
  2. Damit die Umgestaltung der Tierhaltung stabil und langfristig finanziert werden kann, muss die von der Borchert-Kommission vorgeschlagene Tierwohlabgabe jetzt umgesetzt werden.
  3. Das Ziel von 30 Prozent Bio für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem ist zentral. Die neue Bio-Strategie sollte jetzt aktiv mit Unterstützung aller Ministerien umgesetzt werden.
  4. Der BÖLW hat einen Vorschlag für eine unbürokratische Agrarförderung (GAP) vorgelegt, die Betrieben, Verwaltungen und der Umwelt hilft. Die bestehende Förderlogik führt dazu, dass Betriebe und Verwaltungen von Bürokratie erdrückt werden, ohne dass Höfe oder die Umwelt davon profitieren.
  5.  Um den Höfen bessere Preise und Sicherheit selbst in Krisenzeiten zu bieten, sind vielfältige, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Wertschöpfungsketten unerlässlich. Durch die Anwendung der vorliegenden Konzepte würde die Ampel-Koalition den Mittelstand stärken.
  6. Die Landwirtschaft muss sich von fossiler Energie verabschieden. Dennoch ist die Entscheidung der Ampel-Koalition zum Agrardiesel falsch, da die Betriebe derzeit keine alternativen Lösungen haben.

Hintergrund / Fakten-Check:
Wo steht die Ampel bei der Umsetzung des Koalitionsvertrages?

Tierhaltung

  • Die verpflichtende staatliche Haltungskennzeichnung von frischem Schweinefleisch wurde zum Beginn des Jahres eingeführt. Aber: Berücksichtig wird nur die Mast und nicht die Haltung von Sauen und Ferkeln. Auch fehlt die Kennzeichnung für verarbeitete Produkte und die Gastronomie. Immerhin: Bio-Fleisch ist Teil der neuen Kennzeichnung. Mit dem Bio-Siegel sind verarbeitete Waren sowie sämtliche Lebensphasen aller Nutztiere klar gekennzeichnet. Bio-Schweine haben 50 Prozent mehr Platz als in der höchsten konventionellen Stufe. Es ist offen, ob oder wann eine staatliche Haltungskennzeichnung auch für Rinder und Geflügel noch in den nächsten zwei Jahren kommt.
  • Für die Finanzierung des Umbaus ist ein Bundesprogramm in Planung. Das reicht aber für eine sichere, dauerhafte Finanzierung nicht aus. Die dafür notwendige Tierwohlabgabe wird aktuell wieder diskutiert. Die Ampel konnte sich bisher jedoch noch nicht darauf einigen.
  • Transport und Schlachtung: Neue Regeln für mehr Tierschutz wurden bisher nicht auf den Weg gebracht.
  • Auslaufen der Anbindehaltung: Die dafür erforderliche Gesetzesänderung wird seit Monaten in der Regierung ohne Ergebnis diskutiert. Auf Bio-Höfen wird bereits heute aufgrund entsprechender Vorgaben in der EU-Öko-Verordnung keine ganzjährige Anbindehaltung mehr praktiziert.
  • Herkunftskennzeichnung: Ab Februar 2024 muss auch bei frischem, unverarbeiteten Fleisch von Schwein, Schaf, Ziege und Geflügel die Herkunft ausgewiesen werden. Bei Rindern ist dies schon lange der Fall. Für alle Bio-Lebensmittel gelten seit Jahren klare Regeln für die verpflichtende Herkunftsauslobung (national, EU, Nicht-EU).
  • Schließen von Regelungslücken bei der Putenhaltung: Dazu wurden Regelungsvorschläge bereits vor Monaten angekündigt, liegen aber noch nicht vor. Bio-Puten werden immer nach den strengen Vorgaben der EU-Öko-Vorgaben gehalten.
  • Förderung dezentraler und mobiler Schlachtstrukturen: Es gab kleinere Änderungen bei den Förderprogrammen „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sowie der „Gemeinschaftsaufgabe Agrarkultur und Küstenschutz”. Diese Änderungen gehen zwar in die richtige Richtung, werden aber in der Praxis wenig bewirken.

Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP):

  • Die angekündigte Erarbeitung eines neuen Konzepts für die Agrarförderung wurde noch nicht vorgelegt. Der BÖLW hat ein Modell für eine unbürokratische und umweltwirksame GAP vor, das von der Ampel aufgegriffen werden könnte.

30 Prozent Ökolandbau bis 2030:

  • Die für dieses ambitionierte Ziel notwendigen Hebel wurden bisher nicht angepackt, die erforderlichen Ressourcen nicht bereitgestellt. Bund und Länder haben bis 2027 nur Fördermittel für maximal 14 Prozent Öko-Landbau eingeplant (aktuell 11,3 Prozent).
  • Erhöhung des Bundesprogramms Ökolandbau: Die Mittel wurden von ursprünglich 33 Millionen auf zuletzt 36 Millionen Euro erhöht (ein Plus von zehn Prozent), der Bundestag hat im November für 2024 eine weitere Erhöhung um nochmals zehn Prozent auf 40 Millionen Euro beschlossen. Inflationsbereinigt liegt das Budget damit auf dem Niveau von 2003. Diese Ausstattung passt nicht zu den ehrgeizigen Zielen der Regierung. Viele notwendige Forschungsprojekte können daher nicht finanziert werden.
  • Erarbeitung einer neuen Bio-Strategie: Die Bio-Strategie 2030 wurde im November vorgelegt. Anders als zuvor angekündigt, wird die Strategie nicht von der gesamten Bundesregierung getragen. Es gibt einen stärkeren Fokus auf die Wertschöpfungskette, allerdings bisher keine zusätzlichen Haushaltsmittel für die Umsetzung der insgesamt 30 Maßnahmen.

Pflanzenbau

  • Integrierter Pflanzenschutz: Die Umsetzung ist seit 2010 gesetzlich verpflichtend. Auf 80 Prozent der konventionellen Flächen in Deutschland wird er jedoch nicht umgesetzt. In den vergangenen zwei Jahren hat sich daran nichts geändert.
  • Pflanzen schützen mit weniger Umwelt-Nebenwirkungen: Deutschland hat sich für die „EU-Pflanzenschutzrichtlinie“ (SUR) eingesetzt, das Regelungsvorhaben ist aber in Brüssel gescheitert. Deshalb sind jetzt Bund und Länder gefordert, um das dramatische Artensterben in Agrarlandschaften zu stoppen. Der Ökolandbau arbeitet auf 95 Prozent der Fläche komplett ohne Pflanzenschutzmittel, auf den übrigen fünf Prozent werden nur naturstoff-basierte Präparate eingesetzt, deren Einsatz durch Vorbeugemaßnahmen aktiv minimiert wird.
  • Stärkung von Alternativen zu chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln: Der Fokus liegt zu stark auf der Förderung von Digitalisierungsvorhaben, aber kaum auf Naturstoff-Alternativen oder systemischen Lösungen für mehr Widerstandsfähigkeit der Anbausysteme.
  • Glyphosat wird bis Ende 2023 vom Markt genommen: Deutschland hat sich in der EU nicht für ein Ende von Glyphosat ausgesprochen. Dort wurde daher der Wirkstoff um zehn weitere Jahre verlängert. In Deutschland gibt es keine weiteren Einschränkungen der Anwendung.
  • Züchtung von klimarobusten Pflanzensorten: Hier werden 50 Millionen Euro eingeplant. Allerdings ist der Fördertopf für Bio-Züchter praktisch nicht zugänglich, da das BMBF explizit vor allem Gentechnik fördern will.
  • Die Eiweißpflanzenstrategie soll entwickelt werden. Bisher wurde die knappe Ausstattung des Forschungsprogramms nicht oder kaum verbessert
  • BVVG-Flächen sollen vorrangig an nachhaltig, beziehungsweise ökologisch wirtschaftende Betriebe verpachtet werden: Dazu hat der Bund einen Vorschlag erarbeitet.
  • Beschluss einer Ernährungsstrategie 2023: Ein Entwurf liegt noch nicht vor.

Was fehlt im Koalitionsvertrag?

Gentechnik: Zur künftigen Regulierung der Gentechniken konnten die Ampel-Fraktionen keine gemeinsame Position entwickeln, deshalb sagt der Koalitionsvertrag zu diesem wichtigen Thema nichts. Auf EU-Ebene schaut Deutschland weitgehend passiv zu, da vor allem die FDP an die Erzählung von neuer Gentechnik als „Wunderwaffe” gegen alle aktuellen und künftigen Herausforderungen für die Landwirtschaft glaubt. Dazu sind FDP und Union bereit, den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Wahlfreiheit zu nehmen und den Bauernhöfen einen Absatzmarkt für Lebensmittel „ohne Gentechnik“ von allein in Deutschland über 30 Milliarden Euro zu zerstören.

Kontakt
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